Barbara Beck

Wilhelm II. und seine Geschwister

Verlag Friedrich Pustet 2016 256 Seiten 24,95 €

Wilhelm II. und seine Geschwister (Barbara Beck)

Während sich bei den noch regierenden Häusern in Europa die Berichterstattung vorwiegend um familiäre Angelegenheiten drehen muß, weil der politische Einfluß dieser Königshäuser bescheiden ist, liegen die Dinge beim letzten deutschen Kaiser anders. Über der Dämonisierung seiner Person als Auslöser der europäischen Katastrophe von 1914 tritt die Tatsache, daß Wilhelm II. nicht nur Kaiser, sondern auch Sohn, Bruder und Vater war, völlig zurück. Für die Beurteilung der politischen Leistung ist diese im Grunde selbstverständliche Tatsache auch nicht wichtig. Jedoch ist es nicht ganz von der Hand zu weisen, daß das Ausblenden dieser Seite vor allem der Entmenschlichung seiner Person dienen soll. Wurde während seiner Herrschaft diesen Tatsachen übermäßige Aufmerksamkeit geschenkt, was schon damals einer gewissen Sensationslust und Neugier geschuldet war (aber auch der Identifikationsmöglichkeit und Vorbildfunktion), dient das Ausblenden dieser Selbstverständlichkeiten heute vor allem dem Ziel, zwischen einer Sympathieträgerin wie beispielsweise Lady Di und Kaiser Wilhelm keine Gemeinsamkeiten aufkommen zu lassen.

Deswegen ist es mindestens als Normalisierung zu begrüßen, wenn ein Band erscheint, der sich zumindest der Seite seiner Geschwister annimmt. Aufgrund der herausgehobenen Rolle Wilhelms als Thronfolger und späterer Kaiser und König ist es durchaus verständlich, daß Wilhelm darin nicht extra behandelt wird. Der Band ist weniger für ein wissenschaftliches Publikum geschrieben, sondern eher für die Freunde der Sissi-Filme. So ist dem Band zwar ein Literaturverzeichnis beigegeben, die Zitate werden jedoch nicht nachgewiesen. Daher bleibt es leider unklar, wo bestimmte Aussagen zu finden sind. Das ist jedoch gerade auf dem verminten Feld der Kaiser Wilhelm-Literatur nicht unwichtig. So tauchen die Reichskanzler Bismarck und Bülow oft mit Zitaten auf, jedoch insbesondere bei letzterem war die Wahrheitsliebe nicht besonders ausgeprägt. So muß man der Autorin ihre Wertungen einfach abnehmen, weil es kaum eine Möglichkeit gibt, diese zu überprüfen.

Daß das nicht ganz unproblematisch ist, wird gleich in der Einleitung deutlich. Hier hebt die Autorin auf die Sonderrolle Wilhelm II. ab, der seit 1888 gemäß dem Hausgesetz der Hohenzollern „alle zur Erhaltung der Ruhe, Ehre, Ordnung und Wohlfahrt des königlichen Hauses dienlichen Maßregeln“ treffen konnte, so daß er seinen Geschwistern gleichsam vorgesetzt war. Die Autorin fährt dann fort: „Entsprechend seiner selbstherrlichen Veranlagung machte Wilhelm von diesem Hoheitsrecht ausgiebig Gebrauch. Seine vielfachen Versuche, das Privatleben seiner Geschwister zu kontrollieren und zu lenken, um die Hohenzollernmonarchie unter dem Druck der neuen Zeitströmungen möglichst unangefochten ihren alten Glanz zu erhalten, lösten zahlreiche familiäre Kontroversen aus.“ Wenn es für die behauptete Selbstherrlichkeit Wilhelms kein anderes Kriterium gibt, als eben diese Tatsache, daß er sich bei seinen Geschwistern in die persönlichen Angelegenheiten einmischte, steht diese auf schwachen Beinen. Persönliches Glück war kein Kriterium, an dem sich die Handlungen eines Königs messen lassen konnten, der vor allem dafür sorgen mußte, Deutschland durch die turbulenten Zeiten zu lotsen.

Diese Konflikte gab es außerdem zu allen Zeiten, in allen Königshäusern. Die Eltern, der 99-Tage-Kaiser Friedrich III. und seine Frau Victoria, die älteste Tochter von Queen Victoria, machen in dieser Hinsicht einen ebenso zwiespältigen Eindruck. Einerseits scheinen sie sehr vernarrt in die Kinder gewesen zu sein, so daß man sich eher an eine bürgerliche Familie erinnert fühlt, andererseits urteilte man recht gnadenlos über die Anlagen und Fähigkeiten der Kinder, was zur Cliquenbildung untereinander führte, und folgte bei den Heiratsplänen ebenso einer politischen Agenda.

Die Kronprinzessin Victoria brachte zwischen 1859 und 1872 acht Kinder zur Welt, von denen sechs das Erwachsenenalter erreichten. Die wichtigste Quelle der Autorin für die Zeit bis 1901 (als beide Victorias kurz hintereinander starben) sind Tausende Briefe der Mutter an die Großmutter in England. Der erstgeborene Wilhelm, der spätere König und Kaiser, steht natürlich bis heute im Fokus dieser Generation an Hohenzollern. Das schlechte Verhältnis zwischen Mutter und Sohn sah Herbert von Bismarck, der älteste Sohn des Reichskanzlers, in der charakterlichen Ähnlichkeit der beiden begründet. Was damit genau gemeint ist, wird in dem Buch nicht deutlich. Eine Möglichkeit wäre der Ehrgeiz und auch das Bestreben, den eigenen Willen durchzusetzen, was Wilhelm, der sich offenbar von seiner Mutter schikaniert vorkam, die Nähe zu seinem Großvater und zu Bismarck suchen ließ, zu denen seine Eltern in Opposition standen. Allerdings stellte die enge Bindung Victorias an England ein grundsätzliches Problem dar, das direkt nach dem Tod Friedrich III. zur Eskalation führte. Wilhelm ließ das Neue Palais umstellen, um zu verhindern, daß Papiere nach England gebracht werden würden; Staatsraison ging über Familienbande.

Die Geschwister

Die älteste Schwester Wilhelms, Charlotte (1860-1919), hatte bereits 1878 geheiratet und damit als erste der Geschwister noch vor ihrem älteren Bruder Wilhelm, der das drei Jahre später tat. Sie galt als intrigant und machte in der Öffentlichkeit oft keine gute Figur, was mittlerweile mit einer Stoffwechselkrankheit erklärt wird, die für die wechselnden Gemütszustände verantwortlich gewesen sein soll. Da sie sich möglichst bald der Aufsicht ihrer Mutter entziehen wollte, nahm sie ihre Verlobung selbst in die Hand und machte dem auserwählten Erbprinzen Bernhard von Sachsen-Meiningen (1851-1928) einen Heiratsantrag. Sie verstieß damit gegen die damaligen Konventionen. Aber Bernhard war offenbar keine schlechte Wahl, war gebildet und ein ausgesprochen fähiger Militär, der es bis zum Generalfeldmarschall brachte und sich nicht scheute, Fehlentwicklungen im Heer anzuprangern. Aus der Ehe ging nur die Tochter Feodora (1879-1945) hervor. Das Ehepaar war wichtiger Teil des mondänen Gesellschaftslebens in Berlin, und Charlotte selbst war in den Skandal im Jagdschloß Grunewald von 1891 (Kotze-Affäre) und in die Harden-Eulenburg-Affäre von 1906 verwickelt. Ihr Mann konnte erst 1914, mit 63 Jahren den Herzogsthron besteigen, den er Ende 1918 wieder verlor.

Die Brüder Heinrich (l.) und Wilhelm

Der drittgeborene Heinrich (1862-1929) ist als „Marineprinz“ in die Geschichte eingegangen. Nach ihm ist bis heute die „Prinz-Heinrich-Mütze“ benannt, die er populär gemacht hat. Als zweiter Sohn sicherte er zwar die Thronfolge, falls Wilhelm etwas passieren sollte, hatte aber kaum eine realistische Aussicht auf den Thron. Er wurde gemeinsam mit Wilhelm unterrichtet, machte eine Ausbildung als Buchbinder (das Erlernen eines Handwerks war für männliche Hohenzollern Pflicht) und besuchte gemeinsam mit Wilhelm das Friedrichsgymnasium in Kassel, das er mit der Mittleren Reife abschloß. Dann ging er zur Marine, umsegelte auf einem Schulschiff die Welt, spielte in den 1890er Jahren eine wichtige Rolle beim Ausbau der deutschen Flotte, hatte verschiedene Kommandos inne (u.a. spielte er 1898 eine entscheidende Rolle bei der Herbeiführung des Pachtvertrags für die deutsche Kolonie Tsingtau) und wurde 1909 schließlich Großadmiral.

Heinrich heiratete 1888 Irene von Hessen und bei Rhein (1866-1953). Aus dieser Verbindung gingen vier Kinder hervor, wobei die Söhne teilweise mit der Bluterkrankheit belastet waren. Als seinen Lebensmittelpunkt hatte er Kiel gewählt und 1896 das Gut Hemmelmark bei Eckernförde erworben. Seine Popularität verdankte er seiner Sport- und Technikbegeisterung. Er wurde von Wilhelm hin und wieder mit diplomatischen und militärischen Missionen betraut, denen er nicht immer gewachsen war. Eine Werbetour durch die Vereinigten Staaten absolvierte er mit Bravour, versagte aber, als 1914 die Frage zu klären war, wie sich England verhalten würde. Heinrich war nicht fähig, ein realistisches Lagebild zu erstellen. Nach dem Krieg lebte er auf seinem Gut und stand in regem Austausch mit seinem im holländischen Exil lebenden Bruder Wilhelm. Über die Möglichkeiten einer Restauration machte er sich keine Illusionen.

Zwei weitere Brüder, Sigismund (1864-1866) und Waldemar (1868-1879), starben früh an einer Hirnhautentzündung und an Diphterie. Für die Eltern war das ein schwerer Schlag, der für den Familienzusammenhalt einige Folgen hatte. Die postume Überhöhung der beiden verstorbenen Söhne ließ die Eltern einen absurden Maßstab an die restlichen Kinder anlegen, denen diese nicht entsprechen konnten. Außerdem führte die Lücke, die der Tod der Brüder in die Reihe der Geschwister gerissen hatte, dazu, daß sich die jüngeren drei Geschwister separierten und im Konfliktfall nicht zu den älteren Geschwistern, sondern zur den Eltern bzw. der Mutter hielten.

Die drei jüngsten Schwestern Sophie, Victoria und Margarethe (v.l.)

Die drei jüngsten Schwestern, Victoria, Sophie und Margarethe, machten auf unterschiedliche Art von sich reden und spielten aufgrund einiger Verstrickungen auch eine über das Persönliche hinausgehende Rolle. Bei allen dreien waren Heiratsfragen ein Streitpunkt, da ihre Wahl entweder nicht den Konventionen entsprach oder den politischen Zielen Deutschlands entgegenstand.
Victoria (1866-1929) sticht dabei heraus, weil sie gleich für zwei Skandale sorgte. Zum einen war sie Gegenstand der Battenberg-Affäre in den 1880er Jahren. Sie hatten sich in Alexander von Battenberg verliebt, der aus einer morganatischen Verbindung Alexander von Hessen-Darmstadt stammte und durch Zar Alexander II. auf den bulgarischen Thron gelangt war. Dieser ließ ihn bald fallen, weshalb Alexander gern die Unterstützung der Hohenzollern gehabt hätte, was aber der prorussischen Politik Deutschlands zuwiderlief. 1890 heiratete Victoria schließlich Adolf zu Schaumburg-Lippe (1859-1916), der als vierter Sohn keine Chance auf den Thron hatte, von 1895 bis 1897 aber die Regentschaft in Detmold-Lippe ausübte. Nach seinen Tod bewohnte sie weiter das Palais Schaumburg und heiratete 1927 den Hochstapler Alexander Zoubkoff, was zu heftigen Reaktionen in Familie und Presse führte.

Sophie (1870-1932) war die einzige der Geschwister, die einen Königsthron bestieg und damit in die Unübersichtlichkeiten des südöstlichen Europa hineingezogen wurde. Sie heiratete 1889 den griechischen Thronfolger, der aus dänischem Hause stammte und als Konstantin I. (1869-1923) zwischen 1913 und 1922 zweimal auf den Thron saß. Das griechische Königshaus erhoffte sich durch die Heirat eine Stärkung seiner Position. In Deutschland war die Hochzeit umstritten, weil die fragile politische Situation in Griechenland auch bald die anderen Großmächte auf den Plan rufen konnten. Insbesondere die protürkische Haltung Deutschlands stand im Widerspruch zur Ehe, was in der Kretakrise von 1897 zu Verwerfungen führte. Streit gab es mit Wilhelm auch über die Konversion Sophies zum orthodoxen Christentum, die dazu führte, daß Wilhelm seine Schwester drei Jahre lang nicht mehr sehen wollte. Aufgrund von Turbulenzen in Griechenland mußte sich Sophie des öfteren ins Ausland in Sicherheit bringen, und ihr Mann gelangte auf den Thron, weil ihr Schwiegervater ermordet wurde. Diese dramatischen Ereignisse waren bezeichnend und die Lage in Griechenland sollte sich lange nicht mehr beruhigen, so daß Sophie im Exil starb (obwohl drei ihrer Söhne für unterschiedliche Zeiträume den griechischen Thron innehatten).

Demgegenüber verlief das Leben der jüngsten Schwester, Margarethe (1872-1954), wesentlich harmonischer, die 1893 Friedrich Karl von Hessen (1868-1940) heiratete. Sie hatte das beste Verhältnis zur Mutter und besucht sie oft, da ihre Residenz, Schloß Rumpenheim bei Offenbach, ganz in der Nähe des Witwensitzes ihrer Mutter lag. Dieses Anwesen, Schloß und Landgut Friedrichshof, erbte sie schließlich. Allerdings stellte der Unterhalt von Friedrichshof vor allem eine dauerhafte finanzielle Belastung dar. Im Ersten Weltkrieg fielen zwei ihrer Söhne (weshalb Kaiser Wilhelm den Abzug der restlichen Söhne von der Front befahl), im Zweiten Weltkrieg ein weiterer. Im Herbst 1918 wurde ihrem Mann die finnische Krone angetragen, woraus jedoch lediglich eine zweimonatige Regentschaft wurde, da die deutsche Niederlage weitergehende Pläne zerschlug. Margarete machte die Wirren der Nachkriegszeit mit, engagierte sich, wie ihre gesamte Familie politisch und versuchte den Besitz durch die Jahre zu retten. 1956 schließlich starb mit ihr das letzte der Geschwister, nachdem 1941 ihr Bruder, der Kaiser, als vorletzter verstorben war.