Kurzbiographie

Vita Kaiser Wilhelms II. und Abriß der wilhelminischen Epoche

Kindheit und Jugend

  • 1859
  • Geburt

    Wilhelm wird am 27. Januar 1859 im Kronprinzenpalais Unter den Linden in Berlin geboren. Er ist das erste Kind des damaligen preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm (später Kaiser Friedrich III.) und seiner Gattin Victoria („Vicky“), der ältesten Tochter der englischen Queen Victoria.
    Bei der komplizierten Geburt wird der linke Arm schwer verletzt und wird zeitlebens verkürzt und gelähmt bleiben. Die ehrgeizige Mutter verwindet diesen Makel nicht, wodurch die Beziehung zum Sohn schon früh gestört wird.

  • 1859 – 1874
  • Wilhelm als Zehnjähriger 1869
    Freudlose Kindheit und strenge Erziehung

    Unzählige Versuche werden unternommen, um den verkrüppelten linken Arm Wilhelms zu korrigieren. Unter größten Anstrengungen lernt Wilhelm das Reiten. 1866 übernimmt der strenge Calvinist Dr. Georg Hinzpeter die Erziehung des Prinzen.
    Wilhelm II. selbst wird die Zeit später als „recht unglückliche Kindheit“ beschreiben: „Ich hatte keine ausgleichende Mutterliebe. Ich gehöre zu den Naturen, die Lob brauchen, um angefeuert zu werden und Gutes zu leisten. Tadel lähmt mich. Niemals habe ich aus Hinzpeters Mund ein Wort der Anerkennung erfahren.“ (1897)

  • 1874 – 1877
  • Wilhelm als Schüler 1874
    Besuch des Gymnasiums in Kassel

    Auf Wunsch der liberalen Eltern besucht der Prinz ein bürgerliches Gymnasium. Georg Hinzpeter begleitet ihn nach Kassel. 1877 legt er dort das Abitur ab.

Der junge Prinz

  • 1877
  • Beginn des aktiven Militärdienstes

    Am 9. Februar 1877 tritt Wilhelm seinen aktiven Militärdienst in Potsdam an. 1880 wird er zum Hauptmann befördert. Bis 1888 ist er Kommandeur in wechselnden Regimentern. Die Dienstzeit wird immer wieder für zivile und außenpolitische Studien und Weiterbildungen unterbrochen.

  • 1877 – 1879
  • Wilhelm als Student in Bonn 1877
    Studium in Bonn

    Parallel zum Militärdienst nimmt der Prinz ein viersemestriges Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn auf. Außerdem hört er Vorlesungen über Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und Naturwissenschaften.

  • 1881
  • Wilhelm mit seiner Verlobten Auguste Viktoria 1880
    Wilhelm mit seinem ersten Kind, Kronprinz Wilhelm 1883
    Heirat

    Wilhelm heiratet die fast gleich­altrige Auguste Viktoria von Schles­wig-Hol­stein-Son­der­burg-Au­gusten­burg. Er wird mit ihr eine glückliche Ehe bis zu ihrem Tod 1921 führen. Sechs Jungen und ein Mädchen werden geboren, als erster Thronfolger Wilhelm („Der Kronprinz“).

Regentschaft als Deutscher Kaiser und König von Preußen

  • 1888
  • Übernahme der Regentschaft als Deutscher Kaiser und König von Preußen

    Nachdem sein Vater, Kaiser Friedrich III., nach nur 99 Tagen an Kehlkopfkrebs stirbt, übernimmt am 15. Juni der 29jährige Wilhelm II. die Krone.

  • 1888 – 1890
  • Der junge Kaiser Wilhelm II. 1888
    Soziales Volkskaisertum und Konflikt mit Reichskanzler Bismarck

    Der junge Wilhelm II. will ein Kaiser „aller Deutschen“ sein und Industrielle wie Arbeiter, Protestanten wie Katholiken unter seiner Krone einen. Im Bergarbeiterstreik von 1889 unterstützt Wilhelm II. die Forderungen der Arbeiter und erzwingt Lohnerhöhungen. Seine sozialen Bestrebungen führen zu zunehmenden Konflikten mit Reichskanzler Otto von Bismarck, der die Politik des Kaisers für zu sentimental hält.
    Im März 1890 muß Bismarck zurücktreten.

  • 1890 – 1914
  • Wirtschaftliche und wissenschaftliche Blüte, zunehmende innere Kritik am Kaiser und außenpolitische Spannungen

    Deutschland entwickelt sich im Laufe der Regentschaft Wilhelms II. zur wirtschaftlichen Supermacht. Das industrielle Wachstum ist enorm, der gesamte Wirtschaftsaufschwung stabil und von Dauer. Breiteste Bevölkerungskreise profitieren vom Aufstieg. „Made in Germany“ wird zum Gütesiegel.

    Deutsche Wissenschaft ist weltweit führend. In der Physik und Chemie erzielen deutsche Forscher bahnbrechende Erfolge (z.B. Albert Einstein und Max Planck). Unzählige Entdeckungen und Erfindungen (z.B. die des weltweit ersten selbsttätigen Waschmittels, „Persil“) gehen auf deutsches Konto. Innerhalb 17 Jahren erhalten deutsche Preisträger nicht weniger als 21 Nobelpreise.

    Kaiser Wilhelm II. 1897
    Der wissenschaftsbegeisterte Kaiser, der die Bedeutung des technischen Fortschritts von Anfang an voll erkannt hat, fördert diesen nachhaltig.

    Deutschland muß ein gewaltiges Bevölkerungswachstum verkraften. Durch Massenzuzug in die Städte und den Wandel vom Agrar- zum Industriestaat entwickelt sich ein Industrieproletariat. Obwohl sich dessen Lage bis 1914 stetig verbessert, gelingt es nicht wirklich, die Arbeiterschaft zufriedenstellend in die Gesamtgesellschaft zu integrieren.

    1898: Deutschland beginnt mit dem Ausbau seiner Flotte, die in erster Linie dem Schutz des deutschen Welthandels dienen soll.
    Der marinebegeisterte Kaiser greift die alte liberale Forderung nach einer Flotte (sie war schon 1848 ein Kernziel als Symbol der nationalen Einheit) bereitwillig auf. Im Volk ist die Euphorie für die Flotte grenzenlos. Die angestammte Seegroßmacht Großbritannien fühlt sich durch die deutschen Flottenpläne provoziert.

    Wilhelm II. betrachtet sich zunächst als Regent von Gottes Gnaden (von Gott berufen und ihm streng verantwortlich), was zu zunehmendem Konflikt vor allem mit den Liberalen im Volk führt. Viele werfen ihm ein damit verbundenes „persönliches Regiment“ vor, bei dem der Kaiser zu eigenmächtig regiere. Jedoch überschreitet der Kaiser seine Rechte, die ihm die Reichsverfassung gewähren, nicht.

    Wilhelm II. gerät zunehmend in innenpolitischen Konflikt mit den vielen verschiedenen Richtungen im Reich: Liberalen ist er zu konservativ und zu reaktionär, dem aufstrebenden Bürgertum und Industriellen oft zu gemäßigt und vorsichtig, darunter auch Intellektuellen wie z.B. dem Soziologen Max Weber. Gleichwohl ist Wilhelm II. im größten Teil der deutschen Bevölkerung – auch unter der Arbeiterschaft – als Landesvater anerkannt und bei vielen beliebt (davon zeugen z.B. die vielen Kaiserportraits in Arbeiterwohnungen).

    Kaiser Wilhelm II. 1909: Die Daily-Telegraph-Affäre hatte Spuren hinterlassen
    Die Zeit selbst ist voller Widersprüche und Umwälzungen: Pferdefuhrwerke werden durch Automobile verdrängt, der Reichstag wünscht mehr Mitspracherecht. Das Land ist in nervöser, fin de ciècle-Stimmung. Pessimistische, erstmals postmodern gefärbte Denkweisen der Bohème prallen auf Optimismus versprühende und verbindlich formulierte Losungen des Kaisers („Mein Kurs ist der richtige“), die historisch orientierte wilhelminische Architektur (z.B. Neobarock) auf den neuen Expressionismus.
    Die nicht in allen Bereichen glückliche Verfassung des Reiches tut ein Übriges, um innere Konflikte zu begünstigen.
    Den Höhepunkt erreicht die innere Spannung 1908 durch das Daily-Telegraph-Interview des Kaisers: Wilhelm II. ist danach nachhaltig beschädigt und muß geloben, sich in Zukunft öffentlich zurückzuhalten.

    Zahlreiche außenpolitische Krisen isolieren Deutschland zusehends (z.B. 1896: Krüger-Depesche; 1905: Erste Marokkokrise; 1911: Panthersprung nach Agadir).
    Das wirtschaftlich enorm erfolgreiche und ständig wachsende Deutsche Reich, das einen ruhelosen Eindruck hinterläßt, wird besonders von England als unberechenbar und bedrohlich empfunden.

    Kaiser Wilhelm II. 1913
    Obwohl der Kaiser immer wieder seinen guten, friedliebenden Willen bekundet und in bester Absicht handelt, zerschlägt er durch undiplomatische Aussagen, Überschwang und wechselhaftes Vorgehen viel Porzellan. Zudem überschätzt er seinen dynastischen Einfluß (z.B. beim verwandten russischen Zaren), während oft intrigante Berufspolitiker (z.B. Friedrich von Holstein) die Fäden ziehen und falsche Berater (z.B. Generalfeldmarschall von Waldersee) den Kaiser unglücklich beeinflussen.
    Das deutsche Gebaren liefert den Ententemächten, die sich durch das aufstrebende Deutschland in erster Linie wirtschaftlich bedroht sehen, den willkommenen Anlaß, sich zu wappnen (z.B. durch Bündnisse und Aufrüstung). Die gute, friedliebende Intention des Deutschen Kaisers, der einen Krieg nicht will und dies immer wieder ehrlich betont, findet dabei kein Gehör. Deutschland fühlt sich eingekreist, und es bleibt nur noch Österreich als letzter großer Verbündeter.

  • 1913
  • Briefmarke zum 25jährigen Thronjubiläum
    25jähriges Thronjubiläum

    Wilhelm II. feiert sein 25jähriges Thronjubiläum. Er regiert nun 25 Jahre in Frieden und wird in In- und Ausland glanzvoll gefeiert. Im Jahr zuvor hatte ihn Emanuel Nobel (Neffe des Stifters Alfred Nobel) sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

    Die Hochzeit seiner einzigen Tochter Viktoria Luise vereint noch einmal alle gekrönten Häupter Europas in Berlin. Ein Krieg scheint alles andere als naheliegend.

  • 1914 – 1918
  • Julikrise und Erster Weltkrieg

    Am 28. Juni 1914 werden in Sarajevo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau erschossen. Erst fast einen Monat später, am 24. Juli, spitzt sich die Situation durch ein österreichisches Ultimatum an Serbien zu. Die deutsche Führung hatte zuvor den Ernst der Lage verkannt und im Glauben, die Auseinandersetzung werde sich auf den Balkan begrenzen, am 6. Juli Österreich eine defensive Blankovollmacht erteilt (nur in dem unvermuteten Fall, daß Rußland Österreich attackiere, werde Deutschland eingreifen und Österreich zur Seite stehen).
    Das österreichische Ultimatum löst jedoch genau diese Mobilmachung des mit Serbien verbündeten Rußland aus, worauf Deutschland die deutsche Beistandspflicht gegenüber Österreich gefordert sieht und Wilhelm II. am Tag darauf (1. August) mit Tränen in den Augen die deutsche Mobilmachung anordnet. Zuvor hatte er noch durch Telegramme an den russischen Zaren versucht, die Mobilmachungen zu stoppen und Friedensverhandlungen zu vermitteln.

    Wilhelm II. (Mitte) mit Generalfeldmarschall Hindenburg (links) und General Ludendorff (rechts) im deutschen Hauptquartier in Spa

    Im Krieg selbst tritt der Kaiser zunehmend in den Hintergrund. Im Bewußtsein, daß er zum militärischen Führer nicht geeignet ist, überläßt er den Generälen Hindenburg und Ludendorff faktisch die Leitung.

    Der jahrelange Krieg verschlechtert zusehends die Versorgungslage in Deutschland, und große Teile des kriegsmüden Volkes machen inzwischen den Kaiser für die Misere verantwortlich.

    Nachdem die militärische Situation ausweglos geworden ist, streben Hindenburg und Ludendorff am 29.09.1918 Friedensverhandlungen an. US-Präsident Wilson fordert u.a. den Rücktritt Kaiser Wilhelms II.; zudem wird dieser von den Feindstaaten als Hauptschuldiger für den Krieg betrachtet.
    Um die Monarchie zu retten, stimmt Wilhelm II. am 30.09.1918 der Umwandlung Deutschlands in eine parlamentarische Monarchie zu. Die US-Regierung fordert jedoch nicht nur den Rücktritt des Kaisers, sondern die Abschaffung der Monarchie insgesamt. Dies jedoch wird von der deutschen Regierung und sogar von der SPD zurückgewiesen.

  • 1918
  • Erzwungene Abdankung und Flucht nach Holland
    Kaiser Wilhelm II. 1918

    Nach dem Matrosenaufstand in Wilhelmshaven und Kiel droht Deutschland im Herbst 1918 eine rote Revolution wie bereits ein Jahr zuvor in Rußland. Die radikalen Sozialisten, angeführt von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, rufen zum Generalstreik auf, während Friedrich Ebert von der SPD die (inzwischen parlamentarische) Monarchie noch zu retten versucht.
    Doch die Ereignisse überstürzen sich: Aus Sorge vor einem Umsturz verkündet Reichskanzler Max von Baden am 9. November eigenmächtig die Abdankung des Kaisers. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann wird bedrängt, am Reichstag die deutsche Republik auszurufen, da der radikale Sozialist Karl Liebknecht am Berliner Schloß bereits die bolschewistische „Republik“ (nach sowjetischem Vorbild) zu verkünden im Begriff ist.

    Wilhelm II., der sich seit 29. Oktober im deutschen Hauptquartier in Spa in Belgien befindet, verwirft schließlich anderweitige Pläne und kehrt wegen der Gefahr revolutionärer Verfolgung und Auslieferung an die Feindstaaten nicht nach Deutschland zurück. Nach mehrfachem Drängen seiner Berater flieht er am 10. November ins Exil nach Holland, wo ihm Asyl gewährt wird. Dort unterzeichnet er am 28. November die Abdankungsurkunde. Am selben Tag war ihm auch seine Ehefrau aus Deutschland nachgefolgt.

Exil in Holland

  • 1918 – 1941
  • Domizil in Doorn, zweite Heirat

    Wilhelm II. verbringt die ersten eineinhalb Exiljahre in Amerongen.

    Eine Auslieferung Wilhelms II., wie von den Kriegsgegnern gefordert, verweigert die holländische Regierung. Auch der Papst hatte zuvor die Ententemächte aufgefordert, auf eine Auslieferung des Kaisers zu verzichten.

    Haus Doorn bei Utrecht ist ab 1920 Domizil des Kaisers

    Im Frühjahr 1920 bezieht Wilhelm II. Haus Doorn bei Utrecht, das er zuvor gekauft hatte und renovieren ließ. Er wird dort noch 21 Jahre wohnen und nie wieder nach Deutschland zurückkehren können.

    Die Tage sind meist monoton. Regelmäßig empfängt Wilhelm II. Besucher aus Deutschland. Er verfaßt insgesamt neun Bücher, darunter die 1922 erschienene Autobiographie „Ereignisse und Gestalten“. Tausende Bäume werden von Wilhelm II. gefällt, auch aus Gründen der Körperertüchtigung. Noch lange Zeit macht er sich Hoffnungen auf die Wiederherstellung der Monarchie und die Rückkehr auf den Thron.

    Am 11. April 1921 stirbt die schwerkranke Kaiserin Auguste Viktoria, der der Thronverlust und die Situation in Deutschland das Herz gebrochen hatten. Ihr Zimmer im Haus Doorn wird nach ihrem Tod originalgetreu erhalten – bis heute.

    Wilhelm II. im Exil in Doorn

    Der sich einsam fühlende Kaiser heiratet 1922 die verwitwete Prinzessin Hermine von Reuß.

    Den in Deutschland aufkeimenden National­sozialismus, den er allein schon aufgrund seiner christlichen Überzeugung ablehnt, betrachtet er mit großer Sorge. Nach der NS-Machtübernahme 1933 verfügt Wilhelm II. für seine Beerdigung vorsichtshalber: „Keine Hakenkreuzfahnen“. Die Ereignisse der Reichskristallnacht 1938 empfindet er als „Schande“, und alle Offiziere und anständigen Deutschen müßten jetzt aufstehen und protestieren.

    Nach dem deutschen Einmarsch in Holland 1940 wird Haus Doorn auf Befehl Hitlers zuerst von deutschen Truppen, später von der SS abgeriegelt.

  • 1941
  • Tod
    Wilhelm II. auf dem Totenbett 1941

    Am 4. Juni 1941, um 12 Uhr 30, verstirbt der letzte Deutsche Kaiser 82jährig nach einer Lungenembolie in seinem Schlafzimmer in Doorn.
    Als letzte Worte werden überliefert:
    „Ich versinke, ich versinke …“.

    Trauerfeiern in Deutschland werden von den NS-Machthabern verboten. In nur kleinem Kreis wird der Kaiser seinem Testament gemäß in Doorn bestattet. Im Mausoleum im Garten von Haus Doorn ruhen noch heute seine Gebeine.


Wilhelm II. mit seinem ältesten Enkel – eines der Lieblingsbilder des Kaisers (hier als englische Postkarte)
Wilhelm II. 1938 in Doorn – das letzte offizielle Bild